Die Hunleths
Wenn eine Frau im 19. Jahrhundert drei Mal verheiratet war und dies im ländlichen Raum des nördlichen Odenwaldes, wo die Männer als Steinhauer früh starben und die Armut einen großen Teil der Kinder auffraß, geht der Familienforscher naheliegend davon aus, dass diese Frau sich nach dem Tod des Ehemannes jeweils neu verheiratet hat, auch um wirtschaftlich besser überleben zu können. Hellhörig wird der Familienforscher, wenn seine Nachforschungen ergeben, dass zumindest der erste ihrer Ehemänner die Ehe „überlebt“ hat, das Paar sich demnach also hat scheiden lassen.
Die Neugier ist geweckt und wird befeuert durch ein unehelich geborenes Mädchen sowie durch Geschichten, die die älteren der Familie erzählen wonach ein Amerikaner die Ur-Oma in der Nachkriegszeit besucht und ihr sogar jährlich 5 US$ zu Weihnachten geschenkt haben soll. Wer war dieser Amerikaner und welche Verbindung hat er zu diesem unehelichen Kind? War er vielleicht dessen verschwundener, unbekannte Vater?
Die Geschichte spielt in den Ortschaften Heubach und Hering im nördlichen Odenwald unweit von Groß-Umstadt. Das unehelich geborene Kind ist meine Ur-Großmutter, die Anna Maria Spatz, die am 18.3.1878 das Licht der Welt erblickt hat.
Zu dieser Zeit ist deren Mutter, die Margaretha Katharina Spatz (21.11.1859 – 5.4.1912) nicht verheiratet. Im Geburtsregister (Standesamt, LAGIS) findet sich auch kein Eintrag[i] eines sich zur Vaterschaft bekennenden Mannes.
Das Kind - Anna Maria Spatz – heiratete später den aus der Nachbarsgemeinde Hering stammenden Sebastian Karn (1878 in Hering – 1958 in Groß-Umstadt). Die beiden lassen sich in Groß-Umstadt nieder, wo sie sich ein Haus in Höchster Straße errichten. Nach dem Krieg kommt es nach Erzählungen eines ihrer Enkel zu dem Besuch des Amerikaners und den jährlichen zu Weihnachten eintreffenden Geldgeschenken, die erst mit dem Tod der Anna Maria Spatz im Jahr 1969 ihr Ende finden. Woher kommen diese Geldgeschenke?
Eine Antwort eröffnet sich, wenn wir uns die Familiengeschichte der Anna Maria Spatz genauer anschauen. Ihre Mutter, die Margaretha Katharina Spatz, kommt aus einer Heubacher Familie. Sie hatte sieben Geschwister, die ihr Vater, Johannes Spatz (1828 – 1902), als Steinhauer durchbringen musste. Ihre Mutter, Katharina Spatz geb. Bundschuh (1833 – 1888), stammt aus der Müller-Familie Bundschuh, die Ende des 18. Jahrhunderts von Lengfeld nach Heubach kommt und die als Mühlärzte in und um Heubach wirkten.
Margaretha Katharina Spatz bekommt ihre erste Tochter, die oben erwähnte Anna Maria Spatz im März 1878.
Zwanzig Monate später, am 27.11.1879 heiratet sie den katholischen Joseph Hunleth II aus Hering. Sie selbst ist evangelisch-reformiert. Ihr Mann ist etwa fünf Jahre älter als sie und Steinhauer.
Es folgen noch zwei weitere Töchter, die während der Ehe mit Joseph Hunleth geboren werden Marie Hunleth (* 1880 - + 1958) und Maria Katharina Hunleth (*1886 - +1977).
Die Scheidung der Eltern erfolgte am 30.6.1886. Aus den bisher vorliegenden Daten wird nicht ersichtlich, dass Joseph Hunleth II als erster Ehemann der Margaretha Katharina Spatz auch der Vater des vorehelich geborenen Kindes Anna Maria Spatz ist, auch wenn diese Vermutung naheliegt.
Hunleth ist eine in Hering im 19. Jahrhundert bekannte, katholische Familie. Der o.g. Joseph Hunleth II war Steinhauer, sein Vater, Joseph Hunleth I (1827-1879) verdiente seinen Lebensunterhalt in Hering als Barbier – neben der Tätigkeit als Landwirt.
Joseph Hunleth I hatte einen Bruder, den am 20.4.1830 in Hering geborenen Franz Hunleth, der ebenfalls den Beruf des Barbiers ausübte. Er taucht im Census der USA ab 1880 auf, nachdem er 1851 eingewandert war und fortan als Barbier in St. Louis arbeitete.
Sein Sohn Frank J. Hunleth (1857 - 1939) gründet 1901 die Hunleth Music Company deren Führung er schon 1908 an seine beiden Söhne weitergibt. Joseph F. Hunleth (1884 - 1968) und Aloys J. Hunleth (1888 - 1956) führen die Firma in St. Louis gemeinsam. Die katholische Familie wächst in den USA und es sind zahlreiche Nachfahren im Census der jeweiligen Jahre bis 1940 nachweisbar.
Joseph scheint eher der Einkäufer in der Firma zu sein, während Aloys die Musikinstrumente verkauft. Im Rahmen seiner Einkauftätigkeit unternimmt Joseph zahlreiche Reisen durch Europa, um Musikinstrumente zu erstehen. Nachweisbar sind Reisen von Europa nach New York in den Jahren 1921, 1926, 1928 und 1939.
Aus seinem Passantrag wissen wir sogar etwas zu seinem Äußeren: blaue Augen, braune Haare, ovales Gesicht, 1,80m groß und keine äußerlichen Auffälligkeiten. Das Bild unten stammt aus diesem Passantrag vom Mai 1921.
Es ist gut denkbar, dass Joseph auf den Spuren seiner Familie auch die Nachfahren des Neffen des Auswanderers besucht und diese jährlich mit einem Weihnachtsgeschenke unterstützt hat. Nach bisherigem Kenntnisstand ist dies die einzige Erklärung für die 5 Dollar-Geschenke und unterstützt die Annahme, dass Anna Maria Karn geb. Spatz eine leibliche Tochter von Joseph Hunleth II war.
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